+ 23.7.2012

 

FÜR  FRITZI

  

Am 04.05.2011 bekamen wir durch ein Internet-Inserat, in welchem Pflegestellen für russische Tiere in Not  gesucht wurden, unseren ersten „Russen“

 

P O L K A N

 

Durch Vorgespräche wussten wir, dass er eine Verletzung an der Schnauze haben sollte - was wir dann zu sehen bekamen übertraf all unsere Vorstellungskraft. Der Hund der zu uns kam war knochendürr, konnte seine Füße beim Laufen fast nicht heben und hatte total stumpfes und glanzloses Fell.

 

Was uns jedoch am meisten entsetzte war ein riesiges Loch in der Schnauze dort wo einmal ein Nasenloch gewesen war. Dieses war so groß, dass es bis auf den Oberkiefer durchging, sämtliche Zähne auf dieser Seite waren entweder abgebrochen, standen total schief im Kiefer oder fehlten sogar gänzlich. Ein Bild des Jammers.

 

Er wollte sich nicht anfassen lassen und nachdem wir ihn zum Schnuppern abgeleint hatten legte er sich weit von uns entfernt mit dem Rücken zur Wand aufs Gras und beobachtete uns argwöhnisch. Um 18.00Uhr gingen wir zum Essen – als wir nach ca. 1 Stunde zurückkamen war der Hund von unserem vermeintlich ausbruchssicheren Grundstück spurlos verschwunden. Nach langem Rufen, Suchen im Wald und sogar Abfahren aller in der Nähe befindlichen Straßen haben wir aufgegeben und beschlossen am nächsten Morgen beim Tierheim anzufragen. Das konnten wir uns sparen – am nächsten Morgen lag „Polkan“ neben dem Komposthaufen als wäre er nie weggewesen. 

 

Als er uns sah, sprang er auf und quetschte sich durch die Gitter unseres Eingangstürchens nur unter Einsatz eines ganzen Rings Fleischwurst konnten wir ihn „einsammeln“ und dazu bringen mit uns zurückzulaufen.

 

Über drei Wochen lang lag dieser magere und fürchterlich zugerichtete „Straßenköter“ neben dem Komposthaufen und weigerte sich beharrlich, auch nur einen Fuß nach drinnen zu setzen. Irgendwann war dann der Bann unter Zuhilfenahme vieler Leckerlis gebrochen und er lies sich ganz vorsichtig von uns anfassen. Etwa zwei Monate später hatte „Polkan“ seinen großen Auftritt in der Sendung „Hund, Katze, Maus“. Es kamen wohl einige Anfragen für ihn – aber zu dieser Zeit hatten wir schon beschlossen, dass er bei uns bleiben sollte, denn aus dem Riesen-Angsthasen war ein Riesen-Schmusehund geworden.

 

Und aus „Polkan“  wurde „unser Fritz“.

 

Trotz seiner, mit Sicherheit abgrundtief schlechten Erfahrungen mit Menschen, hat er sich irgendwann dann mit wachsender Begeisterung sogar von wildfremden  Leuten streicheln lassen. Nach langer Eingewöhnungszeit lief er sehr gut an der Leine – im Wald durfte er sogar ohne Leine laufen und hat nie Anstalten gemacht wegzulaufen. Autofahren war ihm bis zum Ende eine Qual – er war nicht dazu zu bewegen einzusteigen. Wir hatten immer den Verdacht, dass er mit einem Kastenwagen mittels Schlinge von der Straße weggefangen wurde.

 

„Fritzi“ hat in seiner Zeit als unser Haus- und Hofhund einige Hunde kommen und auch wieder gehen sehen. Er hat sich allen gegenüber immer souverän und freundlich gezeigt.

 

Seine größte Leidenschaft war es, das tägliche Eis mit seinem Herrchen zu teilen. Mit seinen großen Löffelohren konnte er auf 3km Entfernung hören wann die Tür vom Eisschrank aufging und saß sofort in Bettelstellung.

 

An einem Mittwoch Ende Juli 2012 fiel uns sein plötzliches merkwürdiges Verhalten auf, er stand breitbeinig da und sah uns mit gesenktem Kopf an. Als wir Freitag mittags einen schwankenden Gang und Gleichgewichtsstörungen feststellten brachten wir ihn in unsere Tierklinik. Es wurde ein geklemmter Nerv vermutet, er bekam eine Spritze und konnte danach wieder eingermaßen laufen. Am Samstag Mittag brachen ihm die Vorderbeine weg und er konnte nicht mehr aufstehen. Am Sonntag machte er nicht einmal mehr den Versuch aufzustehen und heulte jämmerlich wenn er nur für ein paar Minuten alleine war.

 

Montag morgens brachten wir ihn schon mit einem schlimmen Gefühl in der Magengrube in unsere Tierklinik, die uns auf Grund fehlender Reflexe in allen vier Pfoten in die Klinik nach Frankfurt weiterschickte. Das Röntgenbild lies selbst uns als Laien sofort erkennen, dass es hier nur noch eine Möglichkeit gab, unseren Fritz von seinem Leid zu erlösen.

 

Auf dem Bild konnte man deutlich 6 Schrotkugeln in seinem ganzen Körper verteilt erkennen, innere Organe wie Herz, Lunge und Milz waren angegriffen. Im Nacken- und im Hüftbereich waren die Wirbel heftig gestaucht, der Knochen des rechten Hinterbeins schon stark in der Auflösung begriffen. Dazu kam noch ein alter dreifacher Bruch des Schwanzes. Da der behandelnde Tierarzt auch einen Gehirntumor nicht ausschließen wollte, haben wir uns schweren Herzens entschlossen, ihn von seinen Schmerzen befreien und erlösen zu lassen. Ich durfte bei ihm sein bis zum Ende.

 

Lieber Fritzi,

du hast in uns die Leidenschaft für diese armen geschundenen Kreaturen erweckt. Trotz deiner offensichtlich bitterbösen Erfahrungen mit der Gattung Mensch hast du uns dein Vertrauen geschenkt und darauf sind wir stolz. Wir hoffen, dass du die wenigen Monate bei uns als freier und glücklicher Hund verbracht hast und werden dich  immer in Erinnerung behalten als unseren „ersten Russen“.

 

 

 

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